«Risiken kalkulieren, nicht komplett vermeiden»

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Expertenrat «Risiken kalkulieren, nicht komplett vermeiden»

Publiziert am 23.01.2020

Der Drohnenbetrieb der Post entspricht hohen Sicherheitsstandards, so lautet das Urteil einer unabhängigen Expertengruppe. Zu welchen Resultaten die Experten gekommen sind, was Drohnen mit einem Formel 1-Wagen gemeinsam haben und warum sich schwere Katastrophen oft vermeiden liessen, erläutert Prof. Michel Guillaume, Leiter des Zentrums für Aviatik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Herr Prof. Guillaume, was sind die Resultate der Untersuchungen des Drohnenbetriebs der Post?

Die Post etabliert zusammen mit Matternet einen innovativen Service. Dass sie einen Expertenrat zur Stärkung der Sicherheit einberufen hat, zeugt davon, dass für sie und Matternet die Sicherheit oberste Priorität hat. Mein wichtigstes Fazit lautet, dass der Betrieb von Drohnen eine Sicherheitskultur mit Prozessen erfordert, wie sie in der kommerziellen Luftfahrt zum Tagesgeschäft gehören. Damit sich das bereits hohe Sicherheitsniveau der Post weiter an diese Standards annähert, haben wir Empfehlungen formuliert.

Worin bestehen die Empfehlungen an die Post und Matternet?

Aus der Forschung zu «Man Made Desasters» wie zum Beispiel der Öl-Katastrophe um Deep Water Horizon weiss man, dass die Signale in vielen Fällen erkennbar sind und sich die meisten dieser Katastrophen deshalb verhindern liessen. Dafür braucht es aber einen Informationsfluss, der Abteilungs- und Unternehmensgrenzen überwindet. Zudem müssen den erhaltenen Informationen angemessene Taten folgen. Deshalb ist eine der zentralen Empfehlungen, das «Safety Management System» des Drohnenbetriebs weiter auszubauen und eine Lernkultur über die Unternehmensgrenzen hinweg zu fördern. Zudem empfehlen wir eine unabhängige Aufsichtsfunktion über die sicherheitsrelevanten Prozesse. Ein Schritt in diese Richtung ist getan: Der Expertenrat wird die Post im Drohnenbetrieb weiterhin beraten.

Bedeuten die Empfehlungen, dass der Drohnenbetrieb derzeit unsicher ist?

Nein, unsere Überprüfung zeigt, dass der Betrieb hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt. Die Etablierung von Standards und einer systematischen und organisationsübergreifenden Sicherheitskultur erfordert aber Erfahrung und Zeit: Die heute sehr hohe Sicherheitskultur in der Luftfahrt wurde über mehr als hundert Jahre entwickelt. Die kommerzielle Drohnentechnologie ist erst rund zehn Jahre alt.

Eine Drohne der Post hat 2019 zwei Mal eine kontrollierte Fallschirmlandung ausgelöst. Wie sind solche Landungen zu beurteilen?

Bei Drohnen unter 25 Kilogramm, dazu gehört auch die Post-Drohne, muss der Betreiber Risiken in der Luft wie auch am Boden vermeiden. Dafür sind kontrollierte Fallschirmlandungen das wirksamste Mittel. Dabei leitet eine Drohne automatisch eine Fallschirmlandung ein, wenn sie registriert, dass möglicherweise eine Störung vorliegt. Bei solchen Landungen bleibt eine Drohne kontrollierbar – wie der Name schon sagt. Sie sind deshalb ein zentraler Sicherheitsmechanismus.

Drohnen sind eine relativ junge Technologie. Was bedeutet dies für den Betrieb?

Pioniere werden mit unvorhergesehenen Ereignissen konfrontiert. Ein gutes Risikomanagement ist deshalb besonders wichtig. Das bedeutet nicht, alle Risiken zu vermeiden, sondern, sie frühzeitig zu erkennen, Massnahmen zu ergreifen und dadurch Risiken wohl kalkuliert einzugehen. Innovationsprojekte wie die Drohnenlogistik können mit einem Formel-1-Rennwagen verglichen werden. Extreme Geschwindigkeit und Beschleunigung führen zu Risiken, weshalb es ausserordentlich gute Bremsen braucht. Die Bremsen haben bei allen Formel-1-Teams höchste Priorität – das ist gelebtes Risikomanagement.

Welches Potenzial weisen Drohnen in der Schweiz auf?

Die Schweiz ist bei der Entwicklung von Drohnentechnologie, vor allem von autonomen Systemen, weltweit an der Spitze. Aber bei den Anwendungen müssen wir uns beeilen, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren. In der Schweiz sehe ich abgesehen von der Logistik Potenzial in der Überwachung und bei der Inspektion von Infrastrukturen wie Stromnetzen oder Strassen. In unserer anspruchsvollen alpinen Geografie dürften solche Inspektionen dank autonomen Drohnen effizienter und zuverlässiger werden. Die Regulatoren sind gefordert, dieses Potenzial mit einer zukunftsorientierten, aber auch risikobewussten Gesetzgebung nutzbar zu machen.

Was motiviert Sie, als Experte den Drohnenbetrieb der Post zu begleiten?

Ich möchte im Umfeld der Drohnensicherheit einen Beitrag leisten, damit die Post-Drohnen wieder fliegen und wir weitere Erfahrungen mit dem Einsatz von Drohnen gewinnen.

Prof. Dr. Michel Guillaume

Der Physiker studierte und doktorierte an der ETH Zürich. Nach fast 20-jähriger Tätigkeit bei der Ruag im Bereich Forschung und Entwicklung übernahm er 2012 die Leitung des Zentrums für Aviatik an der ZHAW. Neben seiner Lehrtätigkeit an der ZHAW doziert er an weiteren Institutionen, unter anderem an der ETH Zürich.

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